Europas Wurzeln
NEU
beleben!
Fragen des Glaubens schienen im Bewußtsein der Öffentlichkeit die
längste Zeit reine Privatangelegenheit zu sein. In den
Sozialwissenschaften spielten sie nur eine marginale Rolle. Mit der
massiven Zuwanderung von Muslimen nach Europa hat sich die Situation
aber geändert. Da lebt plötzlich mitten unter uns eine wachsende Zahl
von Personen, die ihren Glauben öffentlich bekennen und deren Vertreter
unmißverständlich erkären, der Glaube habe Einfluß auf die Gestaltung
des öffentlichen Lebens zu nehmen. Was dabei herauskommen kann, läßt
sich in den muslimischen Ländern besichtigen.
(V2000/2011)
I N H A L T
EinleitungWelchen
Stellenwert soll der Glaube im modernen Staat haben? Eine Frage, die an
Aktualität gewonnen hat. In Frankreich wurde kürzlich das Tragen der
Burka (einer Gesichtsverschleierung) verboten und Präsident Nicolas
Sarkozy hat eine Debatte über die Laizität ausgelöst. In Ungarn hat die
mit zwei Drittel-Mehrheit regierende Fidesz-Partei eine neue Verfassung
beschlossen, die sich auf die christlichen Wurzeln des Landes bezieht,
was im In- und Ausland eine heftige Polemik ausgelöst hat. Fragen
des Glaubens schienen im Bewußtsein der Öffentlichkeit die längste Zeit
reine Privatangelegenheit zu sein. In den Sozialwissenschaften spielten
sie nur eine marginale Rolle. Mit der massiven Zuwanderung von Muslimen
nach Europa hat sich die Situation aber geändert. Da lebt plötzlich
mitten unter uns eine wachsende Zahl von Personen, die ihren Glauben
öffentlich bekennen und deren Vertreter unmißverständlich erkären, der
Glaube habe Einfluß auf die Gestaltung des öffentlichen Lebens zu
nehmen. Was dabei herauskommen kann, läßt sich in den muslimischen
Ländern besichtigen. Daß dies keine attraktive Perspektive für
Europas Demokratien sein kann, erkennen auch die verbissensten
Laizisten. Aber, was tun? Die Verunsicherung ist groß. Daher die neu
aufgeflammte Debatte: Auf welchem geistigen Fundament stehen Europas
Staaten? Haben sie christliche Wurzeln und verdanken sie diesen im
Grunde genommen ihre Erfolge? Oder ist die religionskritische
Aufklärung, die sich seit der Französischen Revolution als Speerspitze
des Fortschritts versteht, die Basis der europäischen Gesellschaft? Kann
ein Gemeinschaftswesen überhaupt ohne ein gemeinsames geistiges
Fundament überleben? Das sind Fragen, die uns im folgenden Schwerpunkt beschäftigen sollen.
Europas Zivilisation lebt von ihren christlichen Wurzeln
Der Abschied vom Glauben untergräbt das kulturelle Fundament (Christof Gaspari)
„Der
Islam gehört zu Deutschland“ verkündete der deutsche Bundespräsident
Wulff im Vorjahr und löste eine heftige Debat?te aus. Inwiefern stimmt
das, wurde gefragt. Hat der Islam das Denken Europas geprägt, die
Gestalt von dessen Einrichtungen: der Spitäler, Universitäten,
Gerichten, Parlamenten…?
Wer sich
näher mit der Frage beschäftigt, entdeckt klarerweise, daß die Botschaft
Christi der Nährboden dieser Errungenschaften ist. Nur sind sich auch
die Europäer – obwohl immer noch zu 75% Christen – dieser Tatsache nicht
wirklich bewußt. Gleichgültigkeit gegenüber der Botschaft Christi macht
sich breit: „Der vorwiegende Eindruck ist beim heutigen Menschen wohl
derjenige, daß alle Religionen bei einer bunten Vielfalt von Formen und
Gestalten im letzten doch dasselbe sind und meinen…“, diagnostizierte
Kardinal Joseph Ratzinger in seinem Buch Glaube Wahrheit Toleranz.
Diese
Gleichgültigkeit macht sich die Speerspitze des kirchenfeindlichen
Zeitgeistes zunutze, um insbesondere die Lehre der Katholischen Kirche
anzugreifen und zu verunglimpfen: Da wurde kürzlich in Avignon das Werk
eines „Fotokünstlers“ ausgestellt, „Piss Christ“: ein Kruzifix in einem
Plexiglasbehälter mit des „Künstlers“ Urin. „Katholische
Fundamentalisten“ hätten das Werk beschädigt, kritisierte Die Presse,
ohne ein Wort über diesen unfaßbaren Skandal zu verlieren. Die
Parteinahme der Medien gegen alles, was nach christlichem Glauben
riecht, begleitet unseren Alltag. Ein Beispiel gefällig? Dank ihrer
Zweidrittel-Mehrheit beschloß die in Ungarn derzeit regierende
Fidesz-Partei eine neue Verfassung, die auf die christlichen Wurzeln des
Landes verweist. Das ließ bei den meisten führenden Medien die
Alarmglocken schrillen. Dazu nur ein Beispiel: „Statt für eine Republik
im Herzen der Europäischen Union scheint gerade die Präambel eher für
ein Königreich zu Zeiten der Kreuzzüge geschrieben,“ schreibt Die Welt
online. Und: Jetzt müßten sich „nicht nur Alleinerziehende und
Nichtchristen, sondern auch Homosexuelle nach der Lektüre der künftigen
Verfassung als Ungarn zweiter Klasse fühlen.“ In Sachen Religion
wird medial mit zweierlei Maß gemessen: Plant der Pastor einer
evangelikalen Splittergruppe in den USA eine Koran-Verbrennung, gibt es
einen Medienaufruhr und kritische Statements von Spitzenpolitikern
weltweit. Lassen hingegen iranische Revolutionsgarden öffentlich 300
Bibeln in Flammen aufgehen (geschehen am 8.2.11), nimmt der Westen kaum
Notiz davon. Oder: Werden in Nigeria reihenweise Christen nach dem
Wahlerfolg des christlichen Präsidentschaftskandidaten Goodluck
Jonathan von Muslimen umgebracht, heißt es in den Medien lapidar,
zwischen Christen und Muslimen sei es zu blutigen Auseinandersetzungen
gekommen. In dieses Bild paßt, daß ein Tiroler Lehrer einem Schüler
vor ein paar Wochen das „Grüß Gott“ verboten hat. Begründung: Fabelwesen
hätten nichts in einer Grußformel zu suchen; oder daß man dem Brüsseler
Erzbischof André-Joseph Léonard schon bei zwei Gelegenheiten Torten ins
Gesicht geklatscht hat, weil er die Lehre der Kirche zu Abtreibungen
und homosexuellen Handlungen vertritt; oder daß die EU-Kommission einen
Schülerkalender herausgibt (3,2 Millionen Exemplare), in denen zwar
muslimische Feiertage und jene der Hindus, Juden und Sikhs (!)
verzeichnet sind, aber nicht die christlichen. Es fehlt der Platz,
um weitere Beispiele – es gibt sie leider in größerer Zahl – hier
anzuführen. Deutlich aber wird: Unter den Eliten und in den Medien macht
sich in Europa eine zunehmend glaubens- und kirchenfeindliche Haltung
breit. Mit dieser Glaubensfeindlichkeit verschüttet die moderne
Gesellschaft jene Quelle, ohne die der Erfolgsstrom des Alten Kontinents
nicht geflossen wäre. Allein die Tatsache, daß Europa als Kontinent
bezeichnet wird, deutet auf den christlichen Ursprung hin. Denn rein
geographisch gesehen ist es nichts anderes als ein von Binnenmeeren
durchsetzter westlicher Ausläufer Asiens. Europa als Begriff ist
nur als kulturelle Einheit verständlich – und zwar als jener Raum,
dessen Kultur wesentlich von der Botschaft Christi geprägt worden ist.
Sie war es, die in den 1000 Jahren, die wir heute abschätzig als dunkles
Mittelalter bezeichnen, die Grundlage für die europäische Lebensform
und Zivilisation gelegt hat. Das sei am Beispiel der Stellung der
Frau in der Gesellschaft illustriert: Hier läßt sich ein deutlicher
Bruch zur Antike feststellen: Unter christlichem Vorzeichen habe sich im
Mittelalter eine Kultur entwickelt, in der die Stellung der Frau
weitaus bedeutender und ihr Einfluß viel größer gewesen sei als im
Altertum und in der beginnenden Neuzeit, erklärt Historikerin Régine
Pernoud in ihrem Werk La femme au temps des cathédrales: „In Rom war die
Frau – ohne Übertreibung und ohne Paradox – nicht einmal Rechtssubjekt.
Die Frau war einfach nur ein Gegenstand.“ Keine Rede davon, daß Frauen
im Römischen Reich öffentliche Funktionen hätten ausüben können. Das
römische Familienrecht sah nämlich vor, daß Frauen zu?nächst unter der
Herrschaft des Vaters standen, um unter die des Ehemannes zu wechseln.
Die große Wende brachte das Christentum. Dazu Pernoud: „Die Worte
Christi ... enthielten für die Frauen keinerlei Hinweis auf eine
besondere Form von Schutz, aber sie machten auf besonders einfache, aber
auf entwaffnende Art die grundlegende Gleichheit zwischen Mann und Frau
deutlich: ,Wer seine Frau entläßt und eine andere heiratet, der bricht
ihr gegenüber die Ehe, und wenn sie ihren Mann entläßt und einen anderen
heiratet, so bricht sie die Ehe’.“ Nach christlichem Verständnis
konnten Frauen nunmehr ihren Familienstand selbst bestimmen. Dazu ein
Theologe aus dem 12. (!)?Jahrhundert, Hugo v. St. Viktor: „In Beziehung
zum Mann ist die Frau weder Herrin, noch Magd, sondern Gefährtin.“
Unter christlichem Einfluß hat sich, Pernoud zufolge, auch eine
Tradition der weiblichen Bildung entwickelt. In den ersten weiblichen
Klostergründungen habe man das Studium der Psalmen, der Heiligen Schrift
und der Schriftkommentare gepflegt. Damit sei ein Stil entstanden,
der etwas ganz Neuartiges dargestellt habe und der im Mittelalter von
besonderer Bedeutung gewesen sei: „Der doppelte Einfluß, den Kirche und
Frauen ausüben, trägt dazu bei, daß die Erziehung des Mannes auf ein
Leitbild ausgerichtet wird, das sich später im gebildeten Prinzen
verwirklicht, der Sorge für die Verteidigung der Armen trägt.“
Welchen Stellenwert die Frau auch im sozialen Leben einnahm, läßt sich
am Beispiel der Klostergemeinschaft von Fontevraud in Frankreich
illustrieren. Sie umfaßte ein Frauenstift und ein Männerkloster, und an
der Spitze der Gemeinschaft stand – eine Äbtissin! Erwähnt sei in diesem
Zusammenhang auch, daß im Mittelalter Frauen mit größter
Selbstverständlichkeit Regentinnen waren. Fast alle belgischen und
französischen Fürstentümer wurden damals das eine oder andere Mal von
einer Frau regiert. Soweit ein paar Schlaglichter. Die Stellung der
Frau ist allerdings nur ein Bereich, an dem deutlich wird, daß die heute
hochgeschätzte Gleichwertigkeit der Geschlechter eine christliche
Errungenschaft ist. Und Gleiches gilt für vieles andere, was wir zum
Wertekanon unserer Zivilisation zählen, wie die Ausführungen von Walter
Brandmüller (Seite 6) zeigen. Diese Tatsache in Erinnerung zu rufen,
ist deswegen von großer Bedeutung, weil diese Errungenschaften, die uns
so selbstverständlich erscheinen, auf Dauer gefährdet sind, wenn sie
nicht von dem Geist gespeist sind, aus dem sie einst entstanden.
Europas Kultur enstand aus dem Christentum
s „La face interne de L’Histoire“ (Jean Dauja)
In
seinem Buch La face interne de l’histoire geht der Historiker Jean
Daujat in einem langen Kapitel auf das Mittelalter ein. Seine
Kernaussage: „Europas Kultur ist unmittelbar aus dem Christentum
hervorgegangen“.
Die Kirche
hatte alle authentischen Werte der griechisch-römischen Zivilisation –
wobei sie diese christianisierte – bewahrt und sie durch die Periode des
Zusammenbruchs durchgetragen. Sie fand in den kirchlichen
Einrichtungen, den Bistümern und deren Schulen, den Abteien und Klöstern
Unterschlupf. Aus letzteren stammen übrigens sehr oft jene Mönche, die
Europa evangelisiert haben. Der Benediktinerorden spielt bei der
Entstehung der europäischen Kultur eine zentrale Rolle. Zum Großteil
geht diese nämlich von dessen Klöstern aus. In der allgemeinen
Unsicherheit, die während dieser bewegten Jahrhunderte herrschte, fanden
die Menschen oft Zuflucht bei den Bischofssitzen, den Klöstern, den
Abteien, deren Einfluß sich entfaltete. Über ihren spirituellen Auftrag
hinaus sahen sie sich oft genötigt, weltliche Aufgaben zu übernehmen.
Indem sie Europa christianisierte, hat die Kirche ihm auch alle
zivilisatorischen Werte vermittelt, die sie selbst aufgenommen hatte. So
wird die europäische Zivilisation als eine aus dem Christentum geborene
Zivilisation ab dem 11. Jahrhundert in Erscheinung treten. Am Ende
des Römischen Reichs gab es zwar kurze Perioden christlicher Kultur: im
Westen zur Zeit des Theodosius, im Osten in manchen Phasen des
byzantinischen Reichs. Dabei handelte es sich aber nicht um
Zivilisationen, die aus dem Christentum geboren waren. Vielmehr war es
eine christianisierte griechisch-römische Zivilisation. Die europäische
Kultur aber ist unmittelbar aus dem Christentum hervorgegangen.
Daher bleibt sie – auch als sie sich ab dem 15. Jahrhundert vom
Christentum abwendet – in vielen ihrer Einrichtungen weiterhin von ihrem
christlichen Ursprung geprägt: etwa in der Sonntagsruhe, im
christlichen Kalender, dessen Feste fast alle christlich sind, geprägt
aber auch in ihrer Mentalität: der Verpflichtung zur Solidarität, der
gegenseitigen Hilfe, der Unterstützung von Bedürftigen. Es war die
Kirche, die sich bemüht hat, der Anarchie, der Unsicherheit, den Kämpfen
der unzivilisierten Periode ein Ende zu bereiten, indem sie politische
Ämter eingerichtet hat, etwa durch die Krönung von Chlodwig oder Karl
des Großen. Nach dem Zerfall des Reiches von Karl dem Großen überlebte
das „Heilige Römische Reich deutscher Nation“, eng mit der Kirche
verbunden und in Frankreich wird es der Bischof Adalberon sein, der
durch die Krönung von Hugo Capet Ende des 10. Jahrhunderts die
Herrschaft der Kapetinger errichtet hat. Sie bleibt eine christliche
Einrichtung selbst dann, wenn Throninhaber sich nicht wie Christen
verhalten und von der Kirche getadelt werden. Christliche Initiativen
stehen auch an der Wiege von sozialen Einrichtungen, Spitälern,
Einrichtungen gegenseitiger Hilfe… Was die Kultur betrifft, war es
die Kirche, die Schulen und Universitäten gegründet hat. Die Theologie
trug wesentlich zur neuen Blüte der Philosophie in ihrem Dienst bei.
Auch die Wiedergeburt der Künste im Dienst des Gottesdienstes ist auf
die Kirche zurückzuführen: Architektur, um Gebäude des Kults zu
errichten, Skulpturen und Glasfenster, um sie zu schmücken, Buchmalerei,
um Meßbücher zu verzieren, Musik und Gesang im Dienst der religiösen
Feiern. (…) Das hatte zur Folge, daß im Mittelalter die christlichen
Konzepte Leitmotive für die Lebensgestaltung und die Kultur waren. Das
irdische Leben wurde nicht als Selbstzweck, sondern als Weg zum ewigen
Leben und alle Formen menschlicher Bemühungen wurden als Dienst am Reich
Christi, als Erfüllung Seines Heilswerks, das allein zählte, angesehen.
Von Festen, Unis, Wallfahrten...
Über 1000 Jahre Bau an der Kultur Europas (Walter Brandmüller)
In
seinem kirchengeschichtlichen Buch Licht und Schatten geht der Autor
unter anderem auf die wichtige Rolle ein, die die Kirche bei der
Integration Euro?pas im Mittelalter gespielt hat. Im folgenden einige
Passagen aus dem lesenswerten Buch: Das kanonische Recht war ein
Integrationsfaktor ersten Ranges für das sich formierende Europa. Aufs
engste hing damit das kirchliche Gerichtswesen zusammen, dessen
Instanzenzug vom örtlichen Gericht über das des Metropoliten bis an die
Sacra Romana Rota bzw. die Signatura Apostolica, die beiden
letztinstanzlich urteilenden päpstlichen Tribunalien, führte. Dadurch,
daß gerade die letzteren von lokalen und territorialen Gewalten
unabhängig und unbeeinflußt urteilten, war durch die päpstlichen
Gerichte ein Höchstmaß an Rechtssicherheit garantiert. Mochte darum auch
der päpstlichen Kurie, namentlich jener des späteren Mittelalters, der
schlechte Ruf anhangen, man könne dort für Geld alles haben, so
erfreuten sich doch die päpstlichen Gerichtshöfe höchsten Ansehens, und
ihre Urteile wurden von Reykjavik bis Catania respektiert. Als
Integrationsforum par excellence erscheinen die von den Päpsten
einberufenen und von ihnen bzw. ihren Legaten geleiteten Allgemeinen
oder Ökumenischen Konzilien. (…) Der Umstand, daß in der
mittelalterlichen Christianitas kirchlicher und weltlicher Bereich sich
gegenseitig durchdrangen, führte auch dazu, daß Könige und Fürsten auf
Konzilien anwesend oder vertreten waren und, obgleich ohne Stimmrecht,
nicht geringen Einfluß ausübten. (…) Was es bedeutete, daß da nun
Konzilsteilnehmer aus allen Ländern in großer Zahl für lange Zeit, ja
sogar jahrelang, auf engem Raum sich tagtäglich begegneten, ist nicht
schwer zu ermessen. Es war die intellektuelle, kulturelle, religiöse,
auch die politische Elite Europas, der durch die gemeinsame
Konzilsteilnahme ein Forum seltener Art für den Austausch von Ideen,
Erkenntnissen, Erfahrungen geboten war. (…) Auf diese Weise wurde –
wegen mancherlei Widerstände freilich nicht immer und überall in
gleicher Weise – das kirchliche und vielfältig auch das bürgerliche
Leben in ganz Europa weithin einheitlich ausgerichtet. Die
Universität ist die legitime Tochter der Kirche. Als in einem
chronologisch und geographisch nicht einheitlich verlaufenden Prozeß aus
dem Zusammenschluß von Schulen, die der Ausbildung von Klerikern,
Notaren bzw. Richtern und Ärzten gedient hatten, sich Ende des 12.
Jahrhunderts die „Studia generalia“ bildeten, zuerst in Paris und
Bologna, da war es der Papst, der diesem lockeren Verband und der sich
darum herum bildenden „Universitas magistrorum et scholarium“ die
Rechtsgestalt verlieh. (…) So breitete sich nach 1200 ein
weitmaschiges Netz Hoher Schulen über ganz Europa aus: Bologna, Paris,
Oxford, Cambridge, Salamanca, Coimbra entstanden nebst Padua und
Montpellier noch im 13. Jahrhundert… Um 1300 gab es in ganz Europa 13
Universitäten, gegen Ende des Jahrhunderts 28, und um 1500 waren deren
68. Was aber hat nun diese „Säule Studium“ mit europäischer
Integration zu tun? Nun, diese Hohen Schulen hatten im wesentlichen die
gleichen Strukturen, die Examina waren die nämlichen wie auch die
Lehrinhalte – christliche Offenbarung und antike Überlieferung. Außerdem
waren die akademischen Grade überall gültig. Schließlich hatte jeder
Magister oder Doktor die „licentia ubique docendi“, die allgemeine
Lehrbefugnis. Diese aber war päpstlicherseits verliehen. (…) Auf
diese Weise entstand eine „gesamteuropäische“ Schicht von litterati, die
durch gemeinsame Lehrinhalte, Erfahrungen und Bildungserlebnisse
geprägt, alsbald nicht nur die niedrigen Schulen, sondern auch
bischöfliche und fürstliche Kanzleien und Gerichtshöfe bevölkerte und in
zunehmendem Maße Einfluß, wenn nicht Macht gewann. Seitdem
Kaiser Konstantin den Sonntag zum arbeitsfreien, dem Gottesdienst
vorbehaltenen Tag erklärt hatte, bildete dieser ein im ganzen Imperium
und nach dessen Ende im ganzen sich neuformierenden „Europa“ ein
herausragendes, das Alltagsleben bestimmendes Strukturelement. Ähnliches
gilt, namentlich seit Papst Leo dem Großen, zunehmend auch von den
großen Festen und den Fest- bzw. Fastenzeiten der Kirche. Indem nun
allenthalben Kauf- und Verkaufsurkunden, Testamente, Verträge und
Friedensschlüsse, sogar private Briefe nach dem kirchlichen Festkalender
datiert wurden, wurde – sichtbar – auch das profane Geschehen in Bezug
zur Geschichte des Heils gebracht. Die Jahre zählte man ohnehin seit dem
6. Jahrhundert nach Christi Geburt – als „Anni Domini“, „Anni Salutis“,
„Anni Incarnationis Domini“ etc. Davon abgesehen, daß Handel
und Wandel auch im Mittelalter blühten, war es vor allem das
Wallfahrtswesen, an dem sichtbar wird, welch hoher Grad an Mobilität in
dieser Gesellschaft selbstverständlich war, eine Mobilität, die ihren
Impuls aus der kirchlichen Frömmigkeit empfing. Es zog die Gläubigen von
Anfang an nicht nur an die Orte des Lebens Jesu, sondern auch an die
Gräber der Apostel und Heiligen, auf deren Fürsprache bei Gott sie
hofften. (…) Was aber bedeutete dies? Nicht mehr und nicht weniger,
als daß tausende Gläubige, Männer wie Frauen, sich auf den Straßen
Europas unterwegs zu diesen heiligen Orten befanden. Dabei verließen sie
ihre Heimat, überschritten Grenzen, lernten fremde Länder und Völker
kennen und kehrten – vom eigentlichen religiösen Gewinn abgesehen – mit
einer ihnen beim Aufbruch selbst nicht vorstellbaren Fülle von
Eindrücken nach Hause zurück. (…) Auf dem Weg selbst fand der Wallfahrer
ein logistisch gut geplantes System von Pilgerherbergen, von Spitälern
für erkrankte Pilger vor. Das Selbstverständnis des Menschen,
der sich und seine Mitmenschen als Ebenbild Gottes, als Teil der
Schöpfung und zugleich als ihr Gestalter und Verwalter, als Partner
Gottes, als mit Freiheit begabte und zur Verantwortung vor Gott gerufene
Person verstand, ebenso wie das Wissen darum, daß er sich auf dem Weg
zum Ziel seiner ewigen Vollendung befindet, – all dies mußte das
Lebensgefühl, das Verhältnis zu Mitmensch und Welt aufs Nachhaltigste
prägen. Keine Frage, daß all dies dem einzelnen je nach seinem
Fassungsvermögen in unterschiedlichem Maße bewußt war. Unbestritten ist
auch, daß trotzdem die Mächte des Bösen im Leben des einzelnen wie der
Gesellschaft nicht einfach gebannt waren. Gerade aber das Wissen um
Sünde und Schuld, um die Notwendigkeit und Möglichkeit von Umkehr und
Vergebung war unbestrittenes Gemeingut dieser christlichen Gesellschaft.
Ohne diese Hintergründe die gewaltigen Leistungen in Wissenschaft und
Kunst, im Gesamten der Kultur erklären zu wollen, erscheint unmöglich.
Vielmehr wird aus den Ergebnissen erkennbar, welche kulturschöpferische
Kraft das der Bevölkerung eines Kontinents für ein Jahrtausend
gemeinsame Lebens?ideal, ihre gemeinsamen sittlichen Normen, zu
entfalten vermochten.
Wenn die Moral ihr Fundament verliert
Ein Appell, Zeugnis für die Wahrheit zu geben (Chantal Delsol; Marie-Catherine d’Hausen)
Die
größte Gefahr für unsere Gesellschaft rühre von der Idee, es gäbe keine
Wahrheit, so die Philosophin Chantal Delsol. Dann wird nämlich alles
mög?lich. Was heute gilt, wird morgen verdammt. Es drohe die Zerstörung
unserer Errungenschaften. Ihr Buch trägt den Titel „Âge du renoncement“ („Zeitalter des Verzichts“). Was ist das Thema des Werks?
Chantal Delsol: Heute tritt die Religion, die mehr als 2000 Jahre den
alten Kontinent mit Blut versorgt hat, in den Hintergrund. Damit nehmen
wir Abstand von allem, was die Architektur unserer westlichen Kultur
ausgemacht hat – nicht um, wie manche meinen, zum Nihilismus, sondern zu
einem vorchristlichen Heidentum und zu Weisheiten zurückzukehren, die
es heute noch überall außerhalb des Westens gibt.
Klingt das nicht nach einer etwas hoffnungslosen These?
Delsol: Nein. Es ist eine Feststellung. Ich mache keinerlei Prognose,
ich beschreibe eine Situation. Die Menschen heute wissen nicht recht,
warum sie zur Welt gekommen sind und wofür sie sterben werden. Vor allem
aber: Sie versuchen auch gar nicht, es herauszufinden, weil sie meinen,
daß es da ohnedies keine Antworten gebe. Im Grunde genommen erscheint
es ihnen gleichgültig. Sie leben auch ohne Religion sehr gut! Dabei
erkennen sie nicht, was sie alles verlieren werden, nämlich die Früchte
unserer westlichen Zivilisation: etwa die Idee der Wahrheit, der
Königsherrschaft des Menschen, der persönlichen Freiheit, der
Demokratie, die Idee des Fortschritts – kurz alles, dessen Basis direkt
oder indirekt die Religion ist… Da ich gläubig bin, will ich darauf
hinweisen.
Wie äußert sich diese Rückkehr zu den erwähnten Weisheiten, zum Heidentum?
Delsol: Auf vielerlei Art: in einem Synkretismus, Menschen, die
gleichzeitig mehreren Religionen anhangen, dem Stoizismus, dem
Epikurismus, dem Pantheismus… In unserer Gesellschaft gibt es Keime des
Pantheismus – etwa das, was man „ozeanisches Gefühl“ nennt, die
Erfahrung des Einswerdens mit der Welt. Indem sie uns ihre Weisheiten
vermittelt, übt die asiatische Welt, die einen ganz anderen Weg hinter
sich hat als wir, heute einen großen Einfluß auf unsere Geisteshaltung
aus. Das beweist die große Zahl von Leuten, die Buddhisten oder Taoisten
werden… Der Einfluß des New Age ist auch eine Art Rückkehr zu diesen
Weisheiten. Können Sie etwas näher erläutern, worauf wir verzichten, wenn wir die Religion aufgeben?
Delsol: Wir geben das Wesentliche auf. Vor allem die Idee der Wahrheit.
Sie wurde von den Griechen vorbereitet (Parmenides, Platon…), hat aber
durch die transzendente Offenbarung an Juden und Christen (Offenbarung
Gottes an Moses am Sinai, Auferstehung Christi) erst richtig Gestalt
angenommen. Das hat zu einer radikalen Veränderung am Beginn der
jüdisch-christlichen Zivilisation geführt. Wo es nämlich keine Religion
gibt, wird die Moral monopolisiert. Denn alle Zivilisationen, mit und
ohne Religion, haben eine Moral. Unsere Gesellschaft ist durchwirkt von
Moral.
Aber welche Moral?
Delsol: In einer Gesellschaft, in der es keine religiösen
Grundwahrheiten gibt, ist die Moral instabil, weil sie sich nicht auf
Prinzipien stützt. Sie unterliegt daher dem Nützlichkeitsdenken, da sie
ja im Dienst des individuellen oder gesellschaftlichen Wohlbefindens
steht. Wird es für die Menschen „nützlicher“ oder „besser“ Euthanasie zu
praktizieren, wird man dies auch tun. Obwohl wir auf Grundkonzepte
verzichten, bewahren wir dennoch einige Überreste davon… Die
Menschenwürde zum Beispiel ist uns weiterhin ein Anliegen, vor allem
nach den Totalitarismen des 20. Jahrhunderts. Da es aber keine Wahrheit
mehr gibt, auf der diese Würde basiert, wird sie zu einem Mythos – zu
einer Geschichte, einem nicht mehr fundierten Glauben, der sich zu einer
Tradition entwickelt. Dieser unstete, entwurzelte moralische
Mythos verändert sich dann je nach unseren Wünschen, durchaus im
Gegensatz zur Moral von einst. Diese konnte sich noch auf einen Glauben,
der als Referenz diente, abstützen. So griff etwa Las Casas im 16.
Jahrhundert auf das Evangelium zurück, um die Versklavung der Indianer
zu verwerfen. Heute können sich die Zeitgenossen auf nichts stützen, um
die Euthanasie zurückzuweisen.
Ist die Menschenwürde eine Frucht des Christentums?
Delsol: Das ist offenkundig und hängt mit der Entfaltung der Idee von
der Person zusammen: Gott, der Person ist, erschafft den Menschen als
Person „als sein Abbild“. Das macht die Würde des Menschen aus.
Zugegeben, bei den Griechen gab es Ansätze zum Konzept der Person, aber
nur embryonale.
Geht uns das Konzept vom Fortschritt verloren?
Delsol: Was das anbelangt, gibt es einen starken Bruch (…) Mitte der
70er Jahre. In unseren Ländern glaubten wir damals, uns von Armut
befreien und allen Bildung vermitteln zu können, um zwei Motive zu
nennen. Trotz aller Anstrengungen tritt die Armut auf unseren Straßen
offen zutage und 20% der Jugendlichen sind leseunkundig. Die
tatsächlichen Fortschritte haben nämlich unerwartete, perverse Effekte
erzeugt. Noch ein Beispiel: Wir werden heute 80 bis 85 Jahre alt, was
gut ist. Dabei entstand aber gleichzeitig eine Bevölkerung von Alten
ohne jede Perspektive mit Rekordwerten bei Depressionen und
Selbstmorden, weil sie einsam sind. Die Leute merken langsam, daß es
aufgrund von Sachzwängen zu nicht gewollten Rückschlägen kommt. Und die
Vorstellung macht sich breit, daß der Fortschritt nicht mehr
funktioniert. (…) Was wäre da im Hinblick auf eine Änderung nötig?
Delsol: Die Hoffnung müßte wieder erwachen. Es gilt, wieder an
Wahrheiten zu glauben – die jedoch nicht in Fanatismus ausarten dürfen.
Das geschieht allerdings nicht von selbst. Weil unsere Gesellschaft zu
viele pervertierte Wahrheiten erlebt hat (Religionskriege, ideologisch
mo?tivierte Kriege…), leidet sie in dieser Frage unter einer gewissen
Ermattung. Ohne Intoleranz Zeugnis von der Wahrheit zu geben, ist das
einzige, was uns noch helfen kann.
Mitten im Kulturkampf
Europa zwischen zwei Lebensentwürfen (Christof Gaspari)
Es
geht in diesem Schwerpunkt nicht darum, eine mittelalterliche Idylle zu
zeichnen, in der die Botschaft Christi eine heile Welt erzeugt habe.
Das 1000jährige Mittelalter war vielmehr – wie jede Periode der
Geschichte – geprägt von Phasen des Aufschwungs und der Degeneration,
der Erneuerung und des Verfalls.
Immer
wieder bedurfte das gesellschaftliche Leben der Erneuerung: So spricht
man von der „Karolingischen Renaissance“ (Wende zum 9. Jahrhundert), der
„Gregorianischen Reform“ (11. Jahrhundert), der Reformbewegung durch
die Bettelorden (13. Jahrhundert)… Das Gemeinsame dieser Reformen: Sie
hatten einen festen Bezugspunkt, die Heilige Schrift, die Lehre der
Kirchenväter. Eine Erneuerung von der Wurzel her war also möglich, eine
Wiederbelebung des Geistes, der die vorherrschende Kultur vom Ursprung
her geprägt hatte. Das Auf und Ab von Blüte und Verfall im
Mittelalter macht deutlich: Das Errichten einer christlichen Kultur
allein reicht nicht, um die Geschicke der Menschen zum Guten zu lenken.
Sicher bietet eine solche Kultur eine gute Basis für menschliche
Entfaltung. Aber sie bewahrt nicht vor Fehlverhalten, Hybris und
Mißbrauch von Macht und Reichtum. Weil es gegen Ende des
Mittelalters zu ärgerniserregendem Fehlverhalten, vor allem auch bei
kirchlichen Würdenträgern kam, wurde der Boden für eine grundsätzliche
Infragestellung des bisherigen Ansatzes aufbereitet. Für heutige
Vorstellungen kaum nachvollziehbar war der Verfall des Papst?tums:
Gefangenschaft in Avignon, Gegenpäpste, Päpste, die sich als weltliche
Herrscher (Alexander VI.), ja als Kriegsherren verstanden (Julius II.).
Kein Wunder, daß sich Unmut regte, nach tiefgreifenden Reformen gerufen
wurde. Reformatoren traten auf den Plan: Hus, Luther, Zwingli,
Calvin. Es kommt zur Glaubensspaltung. Sie wird von Europas Fürsten, die
in der Emanzipation vom einheitsstiftenden Prinzip der Christenheit die
Chance auf Machterweiterung sehen, instrumentalisiert. Es folgen
Jahrzehnte mörderischer Religionskriege. Mit der Krise des
Glaubens, dem tragenden Element der mittelalterlichen Ordnung, beginnt
eine Befreiungsbewegung von jenem kulturellen Rahmen, in dem sich das
Leben des Menschen bis dahin abgespielt hatte. Kardinal Joseph
Ratzinger kennzeichnet dies (in Glaube, Wahrheit, Toleranz), wie folgt:
„Die Epoche, die wir Neuzeit nennen, ist von Anfang an durch das Thema
Freiheit bestimmt; der Aufbruch nach neuen Freiheiten ist überhaupt der
einzige Grund, der zu einer solchen Periodisierung berechtigt. Luthers
Kampfschrift Von der Freiheit eines Christenmenschen schlägt sofort das
Thema in kräftigen Tönen an. (…) Es ging um die Freiheit des Gewissens
gegenüber der kirchlichen Autorität, also um die innerste Freiheit des
Menschen überhaupt. (…) Daß plötzlich das ganze Ordnungssystem der
mittelalterlichen Kirche letztlich nicht mehr zählte, wurde als ein
ungeheuerer Befreiungsschub empfunden.“ Und weiter: „Der ganzen
Aufklärung gemeinsam ist der Wille zur Emanzipation… (…) Es geht um den
Ausbruch der Einzelvernunft aus den Bindungen der Autorität, die alle
kritisch überprüft werden müssen. Nur das vernünftig Einsichtige soll
gelten.“ René Descartes, Philosoph und Mathematiker, beeindruckt von
den wissenschaftlichen Erkenntnissen seiner Zeit, zeigt schon im 17.
Jahrhundert die Perspektiven auf, die das Denken und Streben unserer
Tage prägen. Es gehe darum, schreibt er (in Discours de la méthode),
„eine praktische (Philosophie) zu finden, die uns die Kraft und
Wirkungsweise des Feuers, des Wassers, der Luft, der Sterne, der
Himmelsmaterie und aller anderen Körper, die uns umgeben, ebenso genau
kennen lehrt, wie wir die verschiedenen Techniken unserer Handwerker
kennen, so daß wir sie auf eben dieselbe Weise zu allen Zwecken, für die
sie geeignet sind, verwenden und uns so zu Herren und Eigentümern der
Natur machen könnten.“ Voltaire greift diese Gedanken im 18.
Jahrhundert auf und verhilft ihnen zum Durchbruch. Dazu der Historiker
Jean Daujat: „Von da an wird die grenzenlose Zuversicht in die
Fähigkeiten der menschlichen Vernunft vorherrschen. Sie stützt sich
ebenso auf die raschen Erfolge des Fortschritts aller Wissenschaften wie
auf die erfolgreichen literarischen Werke der großen Klassiker: der
Mensch, der ausschließlich auf die natürliche Erleuchtung seiner
Vernunft vertraut, braucht keine göttliche Offenbarung. Er ist von Natur
aus gut und bedarf nicht der Gnade und des Heils. (…) Gleichzeitig mit
dem Christentum lehnt Voltaire aber alle Religionen ab, die vom
Eingreifen Gottes reden oder davon, man könne mit Ihm in Beziehung
treten.“ Damit sind wir bei der Aufklärung angelangt, in der ein
fundamentales Gegenkonzept zum bis dahin christlichen Grundentwurf
Europas ans Licht tritt. An die Stelle Gottes als Maß aller Dinge, als
Ursprung und Ziel, tritt nunmehr der Mensch, durch dessen Vernunft sich
Perspektiven eines grenzenlosen Fortschritts auftun würden. Den Stand
des Wissens sollte im 18. Jahrhundert die Encyclopédie zusammenfassen,
um die Souveränität des Menschen zu dokumentieren. Dazu Daujat: „
Die Encyclopédie sollte eine vollständige Übersicht über alles
menschliche Wissen, das durch die menschliche Vernunft erworben worden
war, bieten. Ihre Initiatoren, Diderot und der große Mathematiker
d’Alembert, machten aus ihr eine Waffe gegen das Christentum und alle
Religionen, indem sie behaupteten, sie beweise die grenzenlosen
Fähigkeiten der menschlichen Vernunft. Die Encyclopédie hatte einen
enormen Einfluß auf die Verbreitung eines Rationalismus, der sich jeder
Offenbarung und jeder göttlichen Einflußnahme entgegenstellte…“ Aus
der berechtigten Kritik an Mißständen war eine geistige Revolution
geworden, die alles auf den Kopf stellte: An die Stelle Gottes als
Gesetzgeber tritt der Mensch, von dem Jean Jacques Rousseau postuliert,
er sei von Natur aus gut. Emmanuel Joseph Sieyès, Generalvikar von
Chartres, Freimaurer, Wegbereiter des Umsturzes in Frankreich bringt
diese Umkehrung auf den Punkt: „Die Nation besteht vor allem
anderen, sie ist der Ursprung von allem. Ihr Wille ist legal, sie selbst
ist das Gesetz… Die Nation ist nicht nur keiner Verfassung unterworfen,
sondern sie kann es nicht sein, sie darf es nicht sein, also gleichen
Sinnes gesagt, ist sie es nicht… Eine Nation kann auf irgendeine Weise
wollen, es genügt, daß sie will; alle Formen sind gut, und ihr Wille ist
immer das oberste Gesetz.“ In diesen wenigen Sätzen sind bereits
die Weichen hin zu allen Totalitarismen der folgenden Jahrhunderte
gestellt: der Mensch als höchste Instanz. Man ist an die Verheißungen
des Widersachers im Paradies erinnert: Ihr werdet sein wie Gott.
Diesen Emanzipationswillen kennzeichnet Kardinal Ratzinger (Glaube,
Wahrheit…) so: „Das implizite Ziel aller modernen Freiheitsbewegungen
ist es, endlich wie ein Gott zu sein, von nichts und niemandem abhängig,
durch keine fremde Freiheit in der eigenen beschränkt. “ Damit sei das
Bild einer Göttlichkeit errichtet, die rein egoistisch ist, erklärt
Ratzinger, „ein Götze, ja, das Bild dessen, was die christliche
Überlieferung den Teufel – den Gegengott – nennen würde…“ Daher auch
die Feindschaft gegenüber der Kirche. Von Voltaire stammt das Wort: „
Écrasez l’infâme!“ – „Zermalmt die Niederträchtige!“ Und: „Es gibt ein
Recht auf Blasphemie, sonst gibt es keine wahre Freiheit.“ Bei Jean
Meslier, einem Priester, der im Selbstmord endete und dem die
Französischen Revolution ein Denkmal errichten wollte, liest man es
wieder so: „Alles, was Euch Eure Priester und Eure Doktoren so beredsam
über die Größe, das Vortreffliche und das Heilige der Mysterien
predigen, ... ist im Grund nichts als Illusionen, Lügen, Vorspiegelungen
und Betrug, zuerst zu politischen Zwek?ken erfunden, dann von
Verführern und Heuchlern fortgesetzt und von unwissenden, groben Völkern
empfangen und blind geglaubt.“ Klarerweise drängte diese in den
Debattierklubs und Zirkeln der Aufklärer entwickelte Sichtweise auf
Umsetzung. Sie inspirierte die Elite Frankreichs (Adelige, Geistliche
und Bürger), das von Gottes Gnaden errichtete (jedoch äußerst dekadente)
Königtum zu stürzen, um das neue Reich der Freiheit zu errichten.
Seither wird die Französische Revolution als Anbruch einer neuen Zeit
des Fortschritts angesehen. Um welchen Preis dieser „Fortschritt“
erkauft wurde, zeigen die Opferzahlen: 17.000 zum Tode Verurteilte,
35.000 Opfer der „Terreur“, 400.000 bis 1800 in Kriegen Gefallene und
eine weitere Million Opfer in den napoleonischen Kriegen. Mit
welcher Grausamkeit ans Werk gegangen wurde, kommt im Brief des Generals
Westermann, der die Revolutionstruppen in der Vendée befehligt hatte,
zum Ausdruck. An den Konvent schrieb er am 23.12.1793: „Die Vendée gibt
es nicht mehr. Ich habe sie soeben in den Sümpfen von Savenay begraben.
Ich habe Kinder unter den Hufen der Pferde zertreten und Frauen
massakriert. Nicht einen einzigen Gefangenen habe ich mir vorzuwerfen.
Ich habe alles ausgelöscht...“ Keine Frage: Grausamkeit ist keine
Spezialität von Revolutionären, wohl aber Kennzeichen aller folgenden
Versuche, endgültig das Reich des Menschen aufzurichten. Unvorstellbare
Blutbäder gab es in der Commune de Paris (1871), unter der
Sowjetherrschaft in Rußland, der Naziherrschaft in Deutschland, der
Kulturrevolution in China… Wo immer der Mensch alle Rückbindungen an
eine transzendente Vorgabe ablegt, artet das Geschehen in
Unmenschlichkeit aus. Was lehrt uns dieser Rückblick? Daß Europa
mit zwei Menschen- und Weltbildern konfrontiert ist: mit dem
christlichen, aus dessen Wurzeln es hervorgegangen ist, und mit dem der
Aufklärung, das sich als Gegenentwurf versteht und dessen
Umsetzungsversuche die Geschichte der beiden letzten Jahrhunderte
geprägt hat. Dazu Kardinal Ratzinger (in: Ohne Wurzeln – Der
Relativismus und die Krise der europäischen Kultur):? „So hat in
Europa einerseits das Christentum seine wirksamste Gestaltwerdung
erlebt, aber zugleich ist in Europa eine Kultur gewachsen, die den
radikalsten Widerspruch nicht nur gegen das Christentum, sondern gegen
die religiösen und moralischen Traditionen der Menschheit überhaupt
darstellt. “ Wir stehen mitten in diesem Kulturkampf. Obwohl er
nicht mit Waffen ausgefochten wird, nimmt er an Intensität zu, denn die
Gottlosigkeit ist mittlerweile zur Staatsreligion geworden. Daher
schreitet sie im öffentlichen Raum voran. Wesentliche, christlich
geprägte Werte werden mit scheinbar menschenfreundlichen Gesetzen und im
Namen der Menschenrechte unterlaufen: das Lebensrecht des ungeborenen
Kindes wird dem Selbstbestimmungsrecht der Frau geopfert, die Gestalt
der Familie dem Diskriminierungsverbot gegenüber Homosexuellen, das
Erziehungsrecht der Eltern gesundheitspolitischen Verpflichtungen des
Staates, das die Religionsfreiheit wird umgedeutet, um die Freiheit von
Religionsausübung im öffentlichen Raum durchzusetzen… Ohne fixen,
transzendenten Bezugspunkt erweisen sich die Menschenrechte als
Blendwerke, die je nach Nützlichkeit so oder so zum Zuge kommen. An
dieser Stelle ist es mir wichtig festzuhalten, daß Sie, liebe Leser,
diese Aussagen nicht als Klagelied, sondern als Situationsbeschreibung
aufnehmen. Wer als Christ bestehen will, ist geistig mit einem zunehmend
heftigen Gegenwind konfrontiert. Diesem geistigen Kampf müssen
sich Christen heute stellen. Bestehen werden sie ihn, wenn sie nicht auf
eigene Kraft und kluge Einsichten, sondern auf größere Hingabe an den
Heiligen Geist setzen. Er ist uns in dieser österlichen Zeit in
besonderer Weise zugesagt. Und Er wird uns zu Zeugen der Wahrheit
rüsten wie die Apostel zu Pfingsten: Damit auch wir verkünden, daß nur
in Jesus Christus das Heil ist, heute wie seit jeher.
Gott mehr gehorchen als den Menschen
Auszug aus der „Manhattan-Erklärung“.
Uns
bereiten heute folgende Themen besondere Sorge: die Existenz des
werdenden Lebens, der Behinderten und älterer Menschen wird bedroht; es
besteht Gefahr, daß die Ehe, bereits durch Freizügigkeit, Untreue und
Scheidung gebeutelt, im Sinne von neumodischen Ideologien neu definiert
wird; Religions- und Gewissensfreiheit werden gefährdet durch diejenige,
die Gläubige zu Kompromissen gegen ihre tiefsten Überzeugungen zwingen
möchten. (…) (Es) werden Gesetze gegen Diskriminierung angewandt, um
religiöse Einrichtungen sowie religiös orientierte Geschäfte und
Dienstleistungsunternehmen vor die Wahl zu stellen, sich an Aktivitäten
zu beteiligen, die sie für zutiefst unsittlich halten, oder Konkurs
anzumelden. Nachdem im Bundesstaat Massachusetts die
„gleichgeschlechtliche Ehe“ gerichtlich durchgesetzt worden war,
beschlossen zum Beispiel römisch-katholische karitative Einrichtungen
widerwillig, mit der seit 100 Jahren bestehenden Vermittlung von Waisen
aufzuhören, weil man sie sonst rechtlich dazu gezwungen hätte, im
Gegensatz zur römisch-katholischen Morallehre, Kinder auch
gleichgeschlechtlichen Haushalten zuzuweisen. (…) In Kanada und
einigen Ländern Europas ist es schon vorgekommen, daß christliche
Pfarrer angeklagt worden sind, weil sie in der Predigt auf die
biblischen Aussagen gegen Homosexualität hingewiesen haben. Neue Gesetze
gegen Haß lassen ahnen, daß ähnliches auch in den USA geschehen könnte.
Parallel zur abnehmenden Achtung vor religiösen Werten in den Medien,
in Bildungseinrichtungen sowie in der Politik hat es in den vergangenen
Jahrzehnten eine wachsende Zahl von Präzedenzfällen gegeben, welche die
ungehinderte Aus?übung der Religion einschränkten. Wir betrachten diese
Entwicklung als unheilvoll, nicht nur weil sie die verfassungsgemäße
Freiheit des einzelnen, ungeachtet seines Glaubens, bedroht, sondern
ebenso das Gemeinwohl und die Kultur der Freiheit, die unserem
republikanischen Regierungssystem zu Grunde liegt. Wird die
Gewissensfreiheit eingeschränkt, dürfen religiöse Einrichtungen zum
Beispiel nicht mehr nur Mitarbeiter gleichen Glaubens oder gleicher
ethischen Grundwerte einstellen, dann werden die mittleren
Gesellschaftsstrukturen untergraben, die einen wesentlichen Puffer gegen
die Übermacht des Staates bilden. Dies führt zum „weichen Despotismus“,
vor dem Alexis de Tocqueville in seinem Werk Demokratie in Amerika so
eindringlich wie prophetisch warnte. Die Auflösung der bürgerlichen
Gesellschaft ist das Vorspiel der Tyrannei. Wir Christen nehmen die
biblische Ermahnung ernst, die Obrigkeit zu achten und ihr zu
gehorchen. Wir glauben an das Gesetz und an den Rechtsstaat. Wir
erkennen die Pflicht an, sich nach dem Gesetz zu richten, ob es uns
gefällt oder nicht, es sei denn, die Gesetze sind ernsthaft ungerecht
oder verlangen von den Untertanen eine ungerechte oder unsittliche
Handlung. Gemäß der Heiligen Schrift dient das Gesetz der Gerechtigkeit,
dem Gemeinwohl sowie der Wahrung der öffentlichen Ordnung. Gesetze
jedoch, die ungerecht sind oder Bürger zwingen, Ungerechtes zu tun,
sind dem Gemeinwohl nicht dienlich, sondern untergraben es. Seit den
Anfängen der christlichen Kirche haben Christen sich geweigert,
Kompromisse bezüglich der Verkündigung des Evangeliums zu schließen. Die
Apostelgeschichte berichtet im 4. Kapitel, wie man Petrus und Johannes
das Predigen verbieten wollte. Ihre Antwort lautete: „Urteilt selbst, ob
es vor Gott recht ist, daß wir euch mehr gehorchen als Gott. Wir
können's ja nicht lassen, von dem zu reden, was wir gesehen und gehört
haben.“ Durch die Jahrhunderte hält das Christentum bürgerlichen
Ungehorsam nicht nur für legitim sondern auch für notwendig.
Auszug
aus der „Manhattan-Erklärung“. Sie wurde in New York am 28.9.09 von 168
namhaften orthodoxen, katholischen und evangelikalen Christen, Laien
und Klerikern unterzeichnet.
Tief in der Seele lebt die Wahrheit
Obwohl sich Abkehr vom Glauben breit macht (Christa Meves)
Sicher,
der Glaubensverlust ist weit fortgeschritten. Die Folge: Das Leben
vieler ist belastet oder es mißlingt gar. Vor allem Kinder leiden. Aber
die Sehnsucht nach Gott läßt sich nicht ganz aus dem Herzen der Menschen
verbannen. Daher ist es wichtig, daß die Christen nicht nachlassen, in
unseren Tagen Zeugnis zu geben. Denn oft geschieht dann wirklich
Erstaunliches, wie die folgenden Beispiele zeigen…
Unter den Eltern heute, die sich dem Mainstream der Moderne
verschrieben haben, votieren manche in Bezug auf die Erziehung ihrer
Kinder häufig ähnlich wie ein Ehepaar mit vier Kindern in einer
Gesprächsrunde: „Wir sind aus der Kirche ausgetreten. Sie spricht uns
nicht mehr an, und wir haben infolgedessen auch darauf verzichtet,
unsere Kinder taufen zu lassen. Uns ist natürlich klar, daß es deshalb
in unserem Land noch nicht möglich ist, sie von all dem religiösen
Firlefanz fernzuhalten, aber schließlich sind sie ja ab 18 dann auch in
der Lage, eigene Entscheidungen zu treffen“, so die Ehefrau. Der
daneben sitzende Ehemann fügt hinzu: „Ob das bei unseren drei jüngeren
Kindern gelingt, ist noch offen. Bei der ältesten Tochter erlebten wir
eine Pleite: Gerade eben über 20 verliebte sie sich in einen gläubigen
jungen Mann, der sich offenbar geradezu vorgenommen hat, sie
aufzuweichen.“ Ähnliche Erfahrungen schilderte mir eine der
bekanntesten Journalistinnen Deutschlands im Anschluß an ein Interview:
Sie war von der Ideologie überzeugt, daß die Bestimmung des Geschlechts
allein durch Erziehung hervorgerufen wird, und Religion nichts als
Einbildung sei. Sie meinte, um eine größere Glücksmöglichkeit ihrer
Kinder durch Erziehung anzubahnen, bedürfte es einer absoluten
Gleichheit in der Aufteilung der Familientätigkeiten und der Verbannung
jeglicher religiöser Schriften aus den Bücherregalen. Bei Anfragen der
Kinder müsse der Glaube als Einbildung unmündiger vergangener
Generationen gebrandmarkt werden. Da beide eine flexible
Arbeitszeit hatten, war es ihnen ein Leichtes, das neue Modell
durchzuproben. Sie hatten vier Kinder, zwei Mädchen und zwei Buben. Sie
hatten sich vorgenommen, diese absolut gleich zu erziehen, so daß die,
wie sie wähnten, nur von der Umwelt aufgenötigten
Geschlechtsunterschiede und religiösen Einflüsse gar nicht erst in
Erscheinung treten sollten. Die Weihnachtsferien verbrachten sie auf
Neuseeland und die Osterferien auf den Balearen. Sie hatten streng
eingeteilten Hausdienst: Vater montags, dienstags, mittwochs, Mutter
donnerstags, freitags, samstags, am Sonntag beide. Das Unglück brach
bald herein: Vater hielt seinen Hausdienst gewissermaßen nur ein paar
Wochen durch, dann wurde er immer nachlässiger. Seine Frau machte ihm
deswegen immer mehr Vorwürfe, sie machte auch seinen Dreck nicht weg,
sondern tat es ihm nach; sie blieb auch in ihrer Hausdienstzeit dem Haus
immer mehr fern. Das Haus war nach einigen Jahren in einem
geradezu unvorstellbaren Chaos. Die Ehe war durch immer mehr
eskalierende Streitigkeiten total zerrüttet; dazwischen lebten vier
Kinder, die schwerste Verhaltensstörungen zeigten. Die Söhne stahlen,
was nicht niet- und nagelfest war, die Mädchen hatten eine Freßsucht
entwickelt. Alle versagten trotz hoher Intelligenz in der Schule, und zu
einer Einheitsware ohne Geschlechtsunterschiede hatten sie sich nicht
im mindesten entwickelt; im Gegenteil: die Mädchen spielten miteinander
sehr mädchenhafte Spiele, die Jungen miteinander sehr jungenhafte
Spiele. Die absolut laufenlassende Erziehung hatte die
Geschlechtsunterschiede viel eher verstärkt als gemindert. Der
größte Mißerfolg allerdings wurde ihnen im religiösen Feld durch ihren
ältesten Sohn serviert: Er hatte, nachdem er schließlich auf einem
privaten Internat für Reiche doch noch das Abitur geschafft hatte, sie
dem Schock ausgeliefert, daß er Theologie studieren wollte. Der Vater
konterte empört: „Was habe ich für Anstrengungen unternehmen müssen,
dich vom Religionsunterricht dispensieren zu lassen, und das soll nun
das Ergebnis sein? Wer hat dich da denn nun indoktriniert?“ Der
junge Mann antwortete, mit rotem Kopf verschämt: „Ich bin schon ab der
sechsten Klasse heimlich mit zum Religionsunterricht gegangen. Die
hatten einen tollen Religionslehrer. Der war bis zu meinem Abi an der
Schule. Aber der hat mich nicht indoktriniert. Er hat mich nur angeregt,
mich mit der entsprechenden Literatur zu beschäftigen. Das hat mich
dazu gebracht, mit in die Gottesdienste zu gehen. Irgendwann habe ich
dann gewußt: Es ist alles wahr, was Jesus sagt. Und seitdem hab ich
sogar für die Schule lernen können. Außerdem war dieser Theologe ein
klasser Mensch. Der hat mich auch durch die Art überzeugt, wie er mit
uns umging“. Solche Beispiele häufen sich zur Zeit, vor allem in
Norddeutschland und im Kontakt mit jungen Menschen, die in der
ehemaligen DDR aufgewachsen sind. Eine gläubige Katechetin berichtete
von ihren damaligen Erfahrungen in der Arbeit mit Kindern aus
Elternhäusern, die durch das Regime zum Atheismus gezwungen wurden: Zu
ihrem täglichen Programm gehörte das Erzählen biblischer Geschichten.
Die Antworten der Kleinen, ihr so interessiertes Nachfragen im Bezug
auf das Glaubensgut habe sie erstaunt. Sie erlebte, daß dies eine
hervorragende Möglichkeit war, die zunächst so unruhigen Zuhörer, die
als Kleinkinder fast alle in Krippen gewesen waren, aufgeschlossen zu
machen. Sie wollten mehr und mehr davon wissen und begannen, die
Geschichten der Bibel selbst zu spielen, um sie ihren Eltern
vorzuführen. Hier schieden sich dann allerdings die Geister: Manche
Eltern traten an die Erzieherin heran mit der Erklärung, daß ihnen der
christliche Einfluß doch zu gefährlich sei. Die Kinder würden dann doch
zu sehr einer Benachteiligung in ihrem späteren Berufsleben ausgesetzt
werden. Aus diesem Grunde meldeten sie ihre Kinder vom
Christenlehre-Unterricht ab. Bei manchen Kindern habe sich
allerdings in den Familien fast so etwas wie ein Wunder ereignet: Die
Kinder hätten daheim erzählt, auf Familienfesten die biblischen
Geschichten dargestellt, die Lieder gesungen und mit ihrer inneren
Zufriedenheit, mit ihrer glücklichen Entwicklung, ja einfach bereits mit
ihren strahlenden Augen die Eltern gewissermaßen angesteckt, sodaß im
Umfeld sogar mehr Glaubensgemeinschaften entstanden. Aber auch das
Gegenteil ließ sich über die Jahrzehnte hinweg beobachten: Eine
erhebliche Zahl atheistisch aufgewachsener Kinder lieferte sich
negativen Entwicklungen aus, schloß sich zu Horden zusammen, wurde
häufig alkoholabhängig oder auch vor allem diebisch kriminell. Nach der
Wende kam dann schnell auch noch Hasch und früher Sex dazu. Aber
auch hier gab es noch wunderbare Erneuerungen: Eine Studentin die zwar
ihre Kinderjahre noch im atheistischen Umfeld der DDR gelebt hatte, aber
durch gute Katechese dennoch gläubig großgeworden war, teilte in einem
Studentenheim das Zimmer mit einer ebenfalls dort aufgewachsenen, aber
atheistisch großgewordenen Kommilitonin. Die junge Atheistin war
zunächst befremdet, als sie die Bibel auf dem Nachttisch nebenan nicht
nur liegen sah, sondern daß diese von ihrer Bettnachbarin vor dem
Schlafengehen regelmäßig gelesen wurde. Sie wurde neugierig, nicht
nur, weil sie ohnehin von der so besonders empathischen Art der
Mitstudentin beglückt war, sondern weil diese ihr völlig unbekannte
Lektüre ihr Erstaunen hervorrief. Mit Bibeln hätten nur blöde,
rückständige oder auch gemeingefährliche Leute etwas zu tun, so hatte
ihr Vater, der dort zudem ein streng systemtreuer Offizier gewesen war,
sie gelehrt. Umso größer wurde jetzt ihr Bedürfnis, Biblisches erklärt
zu bekommen. Die Freundin nahm sie deshalb mit in ihre
Studentengemeinschaft, und so wurde allmählich aus einer streng zum
Atheismus erzogenen, eher oberflächlich lebenden jungen Frau eine
begeisterte, glückliche Christin. Sie trat in die Kirche ein und ließ
sich an ihrem 20. Geburtstag in dem ihr zugewachsenen Gemeinschaftskreis
fröhlich taufen. Ja, diese Geschichte wurde sogar immer
glücklicher, je länger sie dauerte: Nach ihrer Heirat gründete die nun
gläubig gewordene junge Frau mit drei Kindern eine christliche Familie,
in der sie die Methoden und Materialien der von der Freundin gelernten
alten Katechese verwendete. Und die glücklichen gläubigen Kleinkinder
trugen die biblischen Theaterstücke nun den atheistischen Großeltern vor
und bewirkten ein weiteres Wunder: Sogar der marxistisch streng
mos?kauhörige Großvater gab seinen Widerstand gegen die christliche
Lebensweise seiner Tochter auf. Kinder zum Atheismus zu erziehen,
ist also ein ebensolcher Irrtum, wie die Vorstellung, ihnen die
Identifikation mit ihrem Geschlecht abdressieren zu können. In der Tiefe
ihrer Seele lebt die Wahrheit, und sie läßt sich deshalb reaktivieren,
selbst nach einem langen Leben im Irrtum.
Eine Wolke von Zeugen umgibt uns Das Leben des seligen Franz Jägerstätters – eine Wegweisung für unsere Tage (Urs Keusch)
Keine Frage: Den Gläubigen weht der rauhe Wind des
Zeit?geistes ins Gesicht, mit wachsender Stärke. Viele fühlen sich da
allein?gelassen. Das sei aber noch kein Grund zu verzagen, meint der
Autor und gibt Anregungen, wie man in diesem geistigen Kampf bestehen
kann. Wer sind diese, die weiße Gewänder tragen, und
woher sind sie gekommen?“ So fragt in der Offenbarung des Johannes einer
der Ältesten. Und er bekommt zur Antwort: „Es sind die, die aus der
großen Bedrängnis kommen“ (Off 7,13-14). Wir leben in einer solchen
Zeit der Bedrängnis. Viele Christen kommen sich heute vor wie in einer
Presse, oft ganz niedergebeugt und einsam. Wie oft bekomme ich zu hören
oder in Briefen zu lesen: „Ich komme mir vor wie ausgestoßen... Manchmal
habe ich das Gefühl, weit und breit ganz allein zu sein...“ „Ich
allein bin übriggeblieben…“ Diese Erfahrung ist nicht neu, sie ist so
alt wie die Bibel. Und irgendwie gehört sie zu denen, die Gott von
ganzem Herzen anhangen. Alle Propheten sind durch diese Erfahrung
gegangen. Denken Sie an Jeremia, Johannes den Täufer, Paulus. Lesen Sie
die Psalmen. Als Elija seinen Kampf gegen Baal führt und erleben muß,
wie sein Volk den Bund verlassen, die Altäre zerstört und die Propheten
umgebracht hat, klagt er seinem Gott: „Ich allein bin übriggeblieben...“
– Ich allein... Aber es stimmte nicht. Gott sagt zu ihm: „Ich
werde in Israel 7.000 übriglassen, alle, deren Knie sich vor dem Baal
nicht gebeugt und deren Mund ihn nicht geküßt hat“ (vgl 1 Kön 19). Das
war damals so, heute ist es nicht anders. Darum sollten wir uns stets
vor Augen halten: Um mich herum stehen 7.000 andere, die ihre Knie nicht
beugen vor dem Geist des Antichristen. 7.000, die kämpfen, beten,
weinen und leiden und so ihrem Gott beweisen, daß sie Ihn aus ganzem
Herzen lieben und bereit sind, wenn es sein muß, für Ihn ihr Leben
hinzugeben. Lesen Sie im Hebräerbrief die Kapitel 10,19 – 13,19. Wie
mußte der Apostel die ersten Christen dauernd ermutigen, daß sie auf
ihrem Weg nicht einbrachen und aufgaben! Er sagte zu ihnen: „Schaut auf
Jesus Christus: Er hat angesichts der vor ihm liegenden Freude das Kreuz
auf sich genommen, ohne auf die Schande zu achten“ (Hebr 12). Schaut
auf die, die in ihrer Liebe zu Jesus diesen Weg auch gegangen sind,
„ohne auf die Schande zu achten“. Es sind nicht nur ein paar
Einzelne, sagt der Apostel, sondern es ist eine ganze „Wolke von
Zeugen“, die euch umgibt, euch Mut macht, denselben Weg zu gehen. Und
diese Wolke ist in den vergangenen 2000 Jahren um ein Vielfaches größer
geworden! Auf einen Zeugen aus dieser Wolke möchte ich heute
hinweisen, auf Franz Jägerstätter, der am 26. Oktober 2007 von der
Kirche seliggesprochen wurde. Auf ihn möchte ich gemeinsam mit Ihnen
hinschauen im Sinne eines urchristlichen Wortes: „Haltet euch an die
Heiligen, denn wer sich an sie hält, wird selbst heilig.“ Franz
Jägerstätter – und das macht ihn besonders sympathisch und
nachahmenswert – wird nicht mit einem Heiligenschein geboren: Er kommt
am 20. Mai 1907 in St. Radegund, Oberösterreich, als Kind einer ledigen
Bauernmagd zur Welt. Er wird von seiner gläubigen und liebevollen
Großmutter erzogen. Als junger Mann arbeitet Franz im Erzbau in Eisenerz
(Steiermark) und durchlebt religiös und geistig eine tiefgreifende
Sinnkrise. 1933 wird er Vater einer unehelichen Tochter. 1935, er
ist 28 Jahre alt, lernt er eine gläubige junge Frau kennen, Franziska
Schwaninger. Sie heiraten am Gründonnerstag 1936. Bischof Manfred
Scheuer schreibt von ihnen: „Die Ehe wird zum Wendepunkt im Leben Franz
Jägerstätters. Franz und Franziska beten miteinander und die Bibel wird
zum Lebensbuch des Alltags. Franziska über diese Zeit: ‚Wir haben einer
dem andern weitergeholfen im Glauben’.“ Aus dieser glücklichen Ehe gehen
drei Mädchen hervor (sie sind beim Tod ihres Vaters sechs, fünf und
drei Jahre alt). Als die Nationalsozialisten in Österreich 1938 die
Macht übernehmen, verweigert Jägerstätter jede Zusammenarbeit oder
Unterstützung. Er verweigert den Wehrdienst in Hitlers Armee aus
Gewissensgründen. Seine Mutter, Verwandte und auch befreundete Priester
versuchen, ihn umzustimmen. Seine Frau mit ihren drei kleinen Kindern
hofft zwar auf einen Ausweg, steht aber zu ihrem Mann. „Hätte ich nicht
zu ihm gehalten, hätte er gar niemanden gehabt.“ Niemand! Franz
Jägerstätter kommt schließlich ins Wehrmachtsuntersuchungsgefängnis. Er
kann von seinem Entscheid – im Angesicht Gottes zur vollen Klarheit
gereift – nicht abrücken. Er sagt: „Der Familie wegen ist mir das Lügen
nicht erlaubt, und wenn ich 10 Kinder hätte.“ Am 9. August 1943 wird er
in Brandenburg an der Havel hingerichtet. Was hat Franz Jägerstätter stark gemacht?
1. Das Gebet und das Wort Got?tes: „Franz und Franziska beten
miteinander und die Bibel wird zum Lebensbuch des Alltags.“ Sie tun als
Paar das, was die Kirche damals – und auch heute – so nachdrücklich
fordert: Das tägliche betende Lesen in der Heiligen Schrift. Nirgends
leuchtet das Licht der Wahrheit so klar auf wie in diesem heiligsten
Buch. Franz schreibt für sich ganze Abschnitte aus den Evangelien
und Apostelbriefen ab, damit er sie immer zur Hand hat. Sein Pfarrer
schreibt 1945 in die Pfarrchronik: „Wir haben ihn [von seiner
Dienstverweigerung] abhalten wollen, aber er hat uns immer geschlagen
mit der Schrift.“ 2. Glaubensvertiefung und Lektüre: „Außer der
Bibel waren es die Schriften und Biografien der Heiligen, aus denen sich
seine Frömmigkeit nährte.“ (M. Scheuer) Franz Jägerstätter läßt keinen
Tag aus, seinen Glauben auch geistig zu vertiefen. Er liest auch
aufmerksam die Verlautbarungen der Kirche und informiert sich über das
Zeitgeschehen. Er sagt mehr als einmal: „Ein Mensch, der nichts
liest, wird sich nie so recht auf die Füße stellen können, sie werden
sehr oft nur zum Spielball anderer.“ An anderer Stelle zieht er für sich
diesen Schluß: „Hätte ich nie so viel an katholischen Büchern und
Zeitschriften gelesen, so wär ich vielleicht heute auch anderer
Gesinnung.“ 3. Kraft aus der heiligen Eucharistie: „Um Stärke und
Klarheit zu bekommen, besuchte er jeden Tag die heilige Messe in der
Pfarrkirche St. Radegund.“ (E. Putz) Einmal schreibt er: „Es wird ja
sein, daß in der jetzigen Zeit die Hölle eine stärkere Macht auf dieser
Welt ausüben kann, aber auch die bräuchten wir Christen nicht zu
fürchten… Wer natürlich von den Kampf- und Abwehrmitteln [kaum Gebrauch
macht], die uns Christus durch die Einsetzung des Allerheiligsten
Altarsakramentes als höchstes Vermächtnis hinterlassen hat, sich damit
gegen die höllische Macht nicht fest ausrüstet, wird kaum gegen diese
starken Mächte lange bestehen können.“ Aus dem Gefängnis in Linz
schreibt er: „Es wäre mir nicht zuviel, wenn ich 100 Kilometer zu Fuß
wandern müßte, um einem Meßopfer beiwohnen zu können.“ 4. Ein heller
Blick für Scheinheiligkeit: Eine wichtige Mahnung spricht Jägerstätter
in diesen Worten aus: „Wir sollten nicht bloß Katholiken des Gebetes,
sondern auch der Tat sein.“ Damit entlarvt er jene scheinheilige
Ausrede, die in frommen Kreisen sehr weit verbreitet ist: „Da kann man
nur noch beten!“ Nein! Zum Christsein gehört immer auch die mutige Tat,
das Mundaufmachen: das Einstehen für Wahrheit und Gerechtigkeit, der
Mut, nicht mehr zur großen Herde zu gehören, bisweilen auch ganz allein
zu sein. Jägerstätter: „Ich glaube, wir könnten noch so viel beten,
um Heilige zu werden, wenn wir aber in der Tat das gerade Gegenteil von
dem tun, was zur Heiligkeit führt, werden wir in tausend Jahren auch
noch keine Heiligen... Man kann heute gar häufig hören: da kann man
nichts mehr machen... Aber sich selbst retten, und vielleicht noch
einige Seelen für Christus zu erobern, glaube ich, ist für uns Menschen
nie zu spät, solange wir auf dieser Welt leben.“ 5. Wahr im Reden
und Tun: Zwei Mächte teilen sich die Welt: Die Wahrheit und die Lüge.
Hellsichtig – erleuchtet vom Geist der Wahrheit – hat Jägerstätter diese
Wahrheit erkannt und sich darum durch keine, wenn auch noch so kleine
Lüge (Notlüge) von Christus, der die Wahrheit ist, wegziehen lassen auf
die Seite dessen, der der Vater der Lüge ist (Joh 8,44). Der Geist
dieser Wahrhaftigkeit gab Jägerstätter die Kraft, die Menschenfurcht zu
überwinden. „Diese ‚elende‘ Menschenfurcht ist ein schlechter Ratgeber,
sie führt zur Preisgabe des Gewissens, zur Spaltung der Seele“. Und
er stellt die Frage: „Ist vielleicht jetzt auch das Rauchen eine Tugend
geworden, weil es Tausende von Katholiken tun? Dürfte man deswegen auch
lügen, weil man Gattin und Kinder hat und selbe noch dazu mit einem Eide
bekräftigen? (…) Hätte mir Gott nicht die Gnade und Kraft verliehen,
für meinen Glauben auch zu sterben, wenn es verlangt wird, so würde ich
halt vielleicht dasselbe tun, wie die Mehrzahl es tut.“ 6. Keine
selbstgerechte Kritik: Franz Jägerstätter hat schwer darunter gelitten,
daß er in seinem Gewissensentscheid so ganz allein war und allein
gelassen wurde. „Ich allein bin übriggeblieben…“ Priester, die er um Rat
fragt – sogar ein Bischof – raten ihm ab, diesen Schritt zu tun. Er
leidet am Schweigen so vieler, die den Mund hätten aufmachen müssen.
Aber es kommt kein richtendes Wort über seine Lippen, er entschuldigt
sie vielmehr, wie die Heiligen es eben tun: „Werfen wir aber deswegen
keine Steine auf unsere Bischöfe und Priester, sie sind ja auch Menschen
wie wir aus Fleisch und Blut und können schwach werden. Sie werden
vielleicht noch weit mehr vom bösen Feind versucht als wir. Sie waren
halt vielleicht zu wenig vorbereitet, diesen Kampf aufzunehmen und sich
zu entscheiden: Leben oder sterben.“ 7. Freude am katholischen
Glauben: Aus dem Gefängnis schreibt Jägerstätter: „Mit dem größten
Königspalast möchte ich meine kleine Zelle, die gar nicht einmal rein
ist, vertauschen, wenn ich dafür nur einen kleinen Teil meines Glaubens
geben müßte, denn alles Irdische, wenn es noch so viel und noch so schön
ist, geht zu Ende, aber Gottes Wort bleibt.“ In seinem letzten Brief an
seine Frau, mit der er 7 Jahre glücklich verheiratet war, schreibt er:
„Möge Gott mein Leben hinnehmen als Sühn-Opfer nicht bloß für meine
Sünden sondern auch für andere… Haltet die Gebote und wir werden uns
durch Gottes Gnade bald im Himmel wiedersehen!“ So sprechen und handeln Heilige – uns zum Vorbild! Seliger Franz Jägerstätter, bitte für uns!
Weiterführende Themen:
Familie unter Beschuss
/ Fürchtet euch nicht / Kinder sind ein Segen
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» Leben
mit Gott
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Hilfen fürs Leben
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Jeder Atemzug sei Anbetung!
"Gott liebt dich.
Er ist die Liebe. Rede es dir vor, schreibe es auf, singe davon,
dann wird dein Herz von der Liebe Gottes überflutet und du LEBST".
Zähler und Statistik
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